I sing the Body mutilated

Die Texte, ja, die Texte handelten von den Dingen, von denen diese Texte immer handelten: der unausweichliche Tod, der Tod als letzte Grenze, Sterben als zeitloser, ewig währender Prozess, der Tod im Leben, die Geburt als Beginn des Todes, das Leben als Totes; vom Versiechen, Zerstörtwerden, Dahinvegetieren, Zugrundegehen, Ermordetwerden, Verrecken. Meistens gings ums Verrecken. Irgendwie auch Kitsch, also die Wiederholung eines angelesenen Gefühls. Irgendwie auch Quatsch, aber niemals für den jugendlichen Hörer, der hier eine Wahrheit vermutet, die ihm sonst niemand zu erzählen bereit ist. Die Stimmen gurgelten, grunzten, keuchten den ewigen Reigen des Sterbens ins Mikrofon und wir saßen im Auto, ich auf dem Rücksitz, draußen war es Nacht und die Landschaft der süddeutschen Provinz flog vorbei, die nur jemand, der nicht hier aufgewachsen war, als Natur bezeichnen könnte.

Die Cover-Artworks werden in den Erzählungen über das Genre gerne vergessen, aber sie waren wichtig. Natürlich habe ich die meisten davon nicht zuerst im Original gesehen. Musik wurde in diesen Tagen auf silbern glänzende CD-Rohlinge gebrannt und nur sehr selten im dritten Stock von Karstadt erworben, ganz hinten bei den Regalen mit der magischen Aufschrift „Hard and Heavy“. Also sah ich das Bild zunächst als blassen Ausdruck, der auf das richtige Format zugeschnitten und mir als behelfsmäßiges Cover überreicht worden war. Rechts unten der Titel – Leprosy – und rechts oben der Bandname: Death, das Logo mit Sichel, Schrumpfkopf, umgedrehtem Kreuz und tropfendem Blut. Ein komplett überladenes Wappen, das nach den ersten Alben wieder entschlackt werden musste, aber hier noch so plump, kantig und direkt in seiner darin eigentlich wieder unschuldigen Bildsprache prangte, die einfach alles irgendwie Finstere in einem Ornament zusammenziehen wollte. Ja, und daneben: die versehrten, ausgestoßenen Körper unter einem ewigen, pinken Himmel, gehüllt in weiße Roben, zombiefizierte Body-Horror-Zitate. Alles war so maximal übertrieben pink. Und das passte natürlich überhaupt nicht – und war deshalb so schön.

Nicht nur Leprosy, auch sein Vorgänger Scream Bloody Gore mit den Skelettmönchen im Keller war so eigenartig poppig in seiner Farbwahl. Ed Repka, der beide Cover zeichnete, kam eigentlich vom Punk, entwarf dann aber vor allem die Cover der US-amerikanischen Thrash-Metal-Bands der 80er, vollzog also zeichnend die Entwicklung des Genres mit und fertigte die Gegenbilder zu den Werbebildern der Reaganomics-Ära: Lethargisch verbrennende Touristen mit weißen Augen an einem zugemüllten Strand, postapokalyptische US-Innenstädte, durch die Horrorclowns und Skelettmenschen streifen. Immer bunt, immer schrill, immer auf eine irgendwie hysterische Art psychedelisch. Sie griffen den Farbton der 80er mit auf, die ihre Werbeästhetik in genau dieses Farbschema gekleidet hatten. FILA-Trainingsanzüge hatten denselben Farbton wie der Himmel über den versehrten Körpern auf dem Leprosy-Cover. Sogar das Capitol in einem Werbeclip für Reagans Wiederwahl 1984 war in Pink gehalten.

Leprosy erschien 1988. Wir hörten es über fünfzehn Jahre später und noch heute komme ich immer wieder zu diesen Alben der späten 80er und frühen 90er zurück, noch mehr eigentlich zu ihren Covern. Keines davon passt zum Anspruch, zum Versprechen dieser Musik, zu der propagierten Drastik, zum propagierten Fatalismus. Oder vielleicht doch. Die Leprakranken auf dem Cover waren unendlich weit entfernt von uns – und gerade deshalb die perfekte Folie für Ängste, die keinen Raum hatten, in dem sie geäußert werden konnten. Anfang der 90er waren weltweit noch über zwei Millionen Menschen mit Morbus Hansen infiziert, doch in Westeuropa waren diese überzeichneten Körper viel mehr Erinnerung und Drohung an – was genau? Ein siechendes Leben? Ein Leben, in dem gesellschaftlicher Ausschluss als Möglichkeit immer präsent sein würde? Was es bedeutet, einen Körper in einer Welt zu haben, die ihn vor allem als benutzbaren Körper wahrnimmt? Da standen sie unter dem pinken Himmel und wandten sich ab von mir, gewährten mir einen kleinen Blick auf das, was verborgen blieb.

Abb. 5: Dan Seagrave, Cover von: Morbid Angel, Altars of Madness, Combat/Earache 1988. Link zum Bild

Abb. 6: Dan Seagrave, Cover von: Dismember, Like an everflowing Stream, Nuclear Blast 1991. Link zum Bild

Die Cover waren alle zu bunt. Altars of Madness von Morbid Angel: helles Blau, sattes, dunkles Blau, kräftiges Rot; die in der Scheibe gefangenen Seelen mit comichaften Fratzen. Dan Seagrave zeichnete am liebsten Lovecraft-Städte und auch sein Entwurf für Like an everflowing Stream von Dismember war zwar dunkler, aber trotzdem am Ende: prächtiger Fantasy-Kitsch und darin wieder einer Bildgeschichte verhaftet, die irgendwo zwischen Pulp-Magazinen, Comic-Zeichenstilen lange vor dem Siegeszug der Graphic Novel und Sword-and-Sorcery-Ästhetik ihre Sprache fand. Comichaft waren auch die ersten Death-Cover und dass sie an Comic-Panel erinnerten, ließ auch das hier beschworene Bild des Todes nicht unberührt, denn traditionell lebt der Comic durch Unsterblichkeit und trägt in sich das Versprechen von Dauer, Weitergabe der Tradition und Todlosigkeit. Gestorben wird in diesen Erzählungen nur in der Vergangenheit, auch Superschurken erstehen aus den Trümmern zeitloser Städte wieder auf. Keiner stirbt und wenn doch, so weiß man gleich, dass es nur zum Schein geschieht. Selbst die Horrorcomics der 70er, an die Repkas Entwürfe am ehesten erinnerten, hatten mit dem seriellen Schrecken, den wiederkehrenden, wöchentlichen Monstern ein in der Tendenz zeitloses Element.

Es gab auch diese anderen Cover. Tomb of the Mutilated von Cannibal Corpse gab damals (und heute) das auratische Versprechen von Gefahr: das gesamte Album indiziert, in Deutschland nur mit alternativem, entschärften Cover erhältlich. Songs wie Hammer smashed Face durften bis 2006 nicht live gespielt werden. Und vorne auf dem verbotenen Cover: die Zombiefrau, an der ein wiederum halb zerhackter anderer Zombie wahlweise Cunnilingus vollzieht oder ihr die Gedärme aus dem offenen Leib saugt. So genau wusste das niemand. Der Künstler Vince Locke, der für sämtliche Cannibal-Corpse-Cover verantwortlich war, wollte die im Vergleich erhöhte Position der Frau später als Geste der Ermächtigung verstanden wissen. Die Texte, die in Deutschland niemand verstand und nach einem Beschluss der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auch niemand lesen konnte, bezeugen hingegen deutlich, dass für die individualistisch-männliche Befreiung durch Drastik wieder der Frauenkörper zu leiden hat, wenn auch hier nur in der Fantasie. Im Kontrast zur inhaltlichen Ebene erscheint dieses Bild, in Wasserfarben gemalt, trotz des Versuchs der größtmöglichen Drastik heute beinahe weich. Der gesamte Entwurf scheint aus der Zeit gefallen.

Cannibal Corpse bereiteten musikalisch vor, was dann später der Brutal oder Technical Death Metal werden sollte, der sich musikalisch an den Grenzen des körperlich noch spielbaren bewegte, in der klanglichen Repräsentation einer Tötungsmaschine: größtmögliche Monotonie, höchste BPM. Wir stellten uns dazu das sich abtötende Leben in den Büroparzellen des Megacorps vor, dessen Räume stets und immer nur im Grünstich gefilmt wurden: Gesellschaftstheorie hatten wir bei den Wachowski-Siblings gelernt. Das Genre ging den Weg der sich steigernden Drastik und wollte gleichzeitig näher an die Realität heran, oder was man damals für die Realität hielt. Parallel dazu fanden wir die ersten wirklichen Gore-Bilder auf Rotten.com (irgendjemand Älteres hatte davor schon in raunendem Tonfall von dem Film Faces of Death geschwärmt, der auf irgendeiner geheimen VHS-Kassette in irgendeiner Schublade wartete). Vielleicht waren wir die erste Generation, die mehr mediale Bilder des Todes konsumierte als alle anderen zuvor. Der Tod als JPEG, der Tod als Clip in schlechter Auflösung drang in ein Jahrzehnt, das von Verdrängung geprägt war. Brutal Death Metal ging zeitgleich auf seinem Weg der offensiv nihilistischen Drastiksteigerung eine schlechte Komplizenschaft mit dem Tod ein: Versprechen dieser Musik (und auch seiner Cover) war die Überwindung der Todesangst durch Abhärtung. Die Bands inszenierten sich auf Fotos grundsätzlich mit verschränkten, muskulösen Armen als Keil. Ihre Cover, wie auch alles, was dann in den Nullerjahren im Bereich Nu-Metal geschah, hatten nichts mehr von der poppig-psychedelischen Comic-Buntheit der frühen 90er. Ihre Drastik war so plump wie das Versprechen ihres Realismus. Dieser Tod war der männliche Tod.

Aber uns ging es nie um den Schock, nie um die Provokation. Wir meinten das vollkommen ernst in unserer Dummheit. Wir interessierten uns auch nicht für den „echten“ Gore. Da ging es um Abhärtung, die Fähigkeit, das Härteste der Welt auszuhalten. Wir dagegen haben uns wirklich für den Tod interessiert, weil wir in einer Zeit erwachsen wurden, in der der Tod überall war und gleichzeitig unsichtbar blieb, als falscher, virtueller Tod. Wir blieben nachts lange wach, sahen den Irakkrieg auf CNN und wussten, dass wir in einer Welt leben, arbeiten, lieben und träumen würden, in denen einer kommen und deinen Körper zu einem Objekt in einem Mittel-Zweck-Verhältnis erklären konnte, das du nicht einmal verstehen würdest. „Du bist zerstörbar“ – das haben wir schon früh gelernt. Die Musik des beginnenden Jahrtausends erzählte uns nichts davon, also gingen wir zurück in die beginnenden 90er, um mehr über die Welt der Erwachsenen zu erfahren.

Kein Zufall, dass wir Anfang der Nullerjahre diese Musik hörten, die genau an dem Zeitpunkt ihre Ästhetik der größtmöglichen Drastik formulierte, als die Welt, in die wir entlassen werden würden, einen Ausblick auf die kommenden Jahrzehnte gewährte. Es gab keine Musik, die uns davon erzählte, weil diese Jahre bereits die ersten Wiederholungsschleifen zeitigten: Garage Rock Revival, Teen Pop und so weiter, und so weiter. Wir hörten überproduzierte Tracks, blickten auf glatte Cover. Die Nullerjahre waren neben vielem anderen eben auch das Jahrzehnt der sich rapide steigernden Bildauflösung.

Ein Cover wie Cause of Death von Obituary, gestaltet von Michael R. Whelan, wirkt da beinahe schon wie der vorweggenommene Gegenentwurf zu dieser Ästhetik, wie auch der Sound des Albums die Antithese zum Sound der Nullerjahre bildete: so geisterhaft und sumpfig wie es der Zeit und dem Ort (Tampa Bay, Florida) gebührte. Und das Cover so wunderbar nicht kontemporär, organisch-wuchernd, wirr, kitschig und ein bisschen blöd. Das riesige Auge neben einem in Spinnweben gefangenen Menschen, der an einem Baum mit Alptraumfratzen hängt. Unter ihm: Tentakel oder genre-konventionell überzeichnete Genitalien. Nobody knows. Ganz unten rechts steht dann noch eine Ruine herum. Warum eigentlich nicht. Das war düster und weird – aber es war, genauso wie bei Deaths Leprosy, eine Comic-Düsternis.

Was die Cover so anziehend machte, war nämlich genau das Unpassende, Comichafte und bei Deaths Leprosy eben noch zusätzlich: das Pinke. Dieser grelle Farbton, der dich aus der Welt herausnahm und es dir erlaubte, dich schrittweise dem zu nähern, was dir als Unausweichliches präsentiert wurde: „The first Bloodshed does not seem real / Reality is what you feel / Dropping to your knees you pray / God won’t make this go away.“ Das groteske Bild wird tröstlich. Der Tod als höchste Stufe der Ohnmacht in einer Zukunft, die für uns nichts als Ohnmacht bereitzuhalten schien, war der Endgegner jugendlicher Vorstellungskraft. Der Tod ist für einen Heranwachsenden immer ein blöder Witz (wie sollte das enden – jemals?). Dieses Bild erzählt mir den Witz immer wieder noch einmal aufs Neue (die Musik sowieso). All das falsche Poppig-Bunte an diesem Cover hält dieses Versprechen in sich – darüber lachen zu können – und ist vielleicht unpassend, trashig, aber wird in dieser schrägen Bebilderung letztendlich magisch, ermöglicht also einen anderen, fremden Umgang mit den Zeichen. Wenn schon sterben, dann unter dem pinken Himmel als neon-orangener Leichnam. Der pinke Tod ist der bessere Tod.

Philipp Böhm