Antennenwälder

Bei der Aufstellung von Antennenanlagen ist auf das Strassen- und Landschaftsbild gebührende Rücksicht zu nehmen.

Mit meinen Augenantennen traf ich in der neu eröffneten Neuen Nationalgalerie in Berlin auf eine frühe in Ölfarben gemalte Radiolandschaft. Das Bild zeigt drei hohe Antennentürme in einer grünen bayrischen Voralpenlandschaft. Die geschwungenen Hügelketten geben ein weiches Polster für die drei stattlich aufragenden Vertikalantennen ab. Das Bild verbirgt die Punkte, wo die Türme im Boden verankert sind, mit weichem Buschwerk und Baumgruppen. Kleine Gehöfte mit roten Giebeldächern, bewaldete Hügelkuppen und eine Sandgrube sind alle gleichwertig dargestellt. Der Blick gleitet rhythmisiert von der linken, höchsten Antenne über die Mitte bis zum niedrigeren Turm auf der rechten Seite, geleitet über Kabel, die die Spitzen der Antennen verbinden. Die drei Türme stehen im Mittelgrund und ragen hoch in das sommerliche Blau eines Sommermorgens. Sie erinnern an die Masten eines Segelschiffs oder die Schornsteine einer Fabrik.


Von diesem Bild aus möchte ich den Bildfaden spannen, der auf die heutige Ästhetik von Antennenwäldern und elektromagnetischen Feldern zielt, die sich abhebt von der ersten Phase des Rundfunks. Denn das Antennengemälde steht am Beginn einer Entwicklung, deren Ende wir heute immer noch nicht absehen können, als in den letzten zwei Jahrzehnten Antennen ›ubiquitär‹ wurden. Die Frage, inwiefern die Errichtung von Antennen einen ästhetischen Widerspruch zur Landschaft darstellt, stellt sich angesichts dieser Entwicklungen bis heute. Damals jedoch behauptete die gemalte Industrielandschaft eine Einheit ohne sichtbaren Widerspruch aus Kultur, Natur und Technik. Meine Fragen sind hierbei ästhetisch wie aisthetisch (griechisch: die Sinneswahrnehmung betreffend). Denn die Antennenästhetik berührt die Theorie des Schönen und Menschlich-Wahrnehmbaren einerseits und die Lehre der Wahrnehmung des Menschlich-Nicht-Wahrnehmbaren andererseits.


EINE DEUTSCHE LANDSCHAFT

Georg Schrimpf (1889-1938), deutscher Maler und Autodidakt, wurde bekannt für seine etwas klobigen, aber in sich ruhenden Portraits von Frauen und für seine Landschaftsmalerei. Er entwickelte dabei einem Stil, der mit Neuer Sachlichkeit, wie eine Ausstellung 1925 in Mannheim hieß, nur unzureichend beschrieben ist.1 Technisch versiert notiert der Pinsel die Eindrücke der Dingwelt, die er vorher in seiner Wahrnehmung gesammelt hatte. Das Ergebnis liegt im Spannungsfeld von Realismus und Vision. Ein Autor meinte 1924, Schrimpf male mit »mikroskopischer Genauigkeit«, aber aus der Erinnerung, was eine paradoxe Vorstellung ist.2 Im Falle des Bildes Rundfunksender (Fürstenfeldbruck) aus dem Jahr 1933 formte er nach diesem Prinzip eine Landschaft der Gegend, wo er seit 1928 lebte, nahe bei München. Die Sendemasten in Holzskelettbauweise waren gerade erst gebaut worden. Vielleicht funkten sie auf Mittelwelle in den gesamten Münchner Raum die »Deutsche Stunde in Bayern«, ein vielfältiges Programm aus Redebeiträgen, Musik und Sportübertragungen.


Zum präzisen Malen aus der Erinnerung passt, dass die Radioforschung keinen Sender in Fürstenfeldbruck mit derartigen drei Masten kennt. Auf meine Anfrage beim Archiv des Bayrischen Rundfunks antwortete man mir, dass die Lage der Türme zwischen Hügeln für Mittelwellensender untypisch sei, da diese für die Weitreiche in flache Ebenen gebaut wurden. Der Sender bei Fürstenfeldbruck könne es nicht sein, zumal es dort nicht hügelig sei. Es könnten aber auch Empfangsantennen oder Antennen zur militärischen Nutzung gewesen sein. »Dass der Maler das als Rundfunksender tituliert hat, sagt nicht viel aus. Die genaue Nutzung der Masten war und ist Laien ja oft nicht bekannt.«3 Es gab jedoch einen Sender in Ismaning, der 1932 in Betrieb genommen wurde (Abb. 2). Zu diesem heißt es: »Der Standort wurde gewählt, weil der stets feuchte Boden des Erdinger Moos hervorragende Eigenschaften für die Ausbreitung der Mittelwellen bot. Die T-Antenne war an zwei im Abstand von 240 m frei stehenden Türme von 115 m Höhe aus dem besonders witterungsbeständigen Holz amerikanischer Pechkiefern angebracht.«4 Insofern könnte einer der Türme auch der »Ismaninger Eifelturm« sein, der später auf 156 m aufgestockt wurde, von Schrimpf jedoch in eine ganz andere Gegend verpflanzt.

Nun stellt das Bild eines Radiosenders, gemalt im Jahr 1933 in Deutschland, sogleich Fragen an die Biografie des Malers. 1933 war nicht nur das Jahr der Machtergreifung der NSDAP, sondern auch das Jahr, in dem Schrimpf als ehemaliges Mitglied der SPD und später KPD sowie anarchistischer Kreise in Ascona und München zum Professor in Berlin berufen wurde, was darüber spekulieren lässt, inwiefern er sich in der Zwischenzeit der neuen Situation rechts-politisch zugewendet oder zumindest angepasst hatte. 1937 wiederum landeten seine Werke in der Ausstellung »entarteter Kunst« in München und auf den Beschlagnahmungslisten derjenigen Kunstwerke, die aus deutschen Sammlungen entfernt werden sollte. Im selben Jahr wurde er aufgrund seiner inzwischen öffentlich gewordenen links-aktivistischen Biografie während der Novemberrevolution aus der Lehre entlassen. Die unvereinbare Ambivalenz von Kunst und Leben während der NS-Zeit erlebte Schrimpf nicht zuletzt anhand der widersprüchlichen Rezeption seiner Werke. Weil seine Malerei keinen offensichtlichen Widerspruch zu den deutschen Wirklichkeitsvorstellungen der herrschenden Ideologie der NSDAP aufmachte, liebten gerade sie seine Bilder. Rudolf Heß erteilte ihm im selben Jahr sogar persönlich einen Auftrag für mehrere Wandgemälde mit Landschaften, den Schrimpf – es scheint aus Geldnot – auch annahm. Was uns heute als unvereinbar erscheint, durchdrang damals alle Bereiche. So betonte der Freund Schrimpfs, der Schriftsteller, Pazifist, Faschismus-Gegner und linke Autor Oskar Maria Graf, 1923 die »unzerstörbare Macht des deutschen Gemüts«5 in Schrimpfs Werken. Und der Kunsthistoriker Franz Roh, der wegen seiner Tätigkeiten für die moderne Kunst während der NS-Zeit von der Polizei in Schutzhaft genommen wurde und 1933 seine Stellung als Dozent verlor, sah 1924 das »Gesunde«, »geistig Rechtschaffene«, die »Balance« und »Friedensstiftung« in Schrimpfs Bildern.6 Den Auftrag für Heß konnte Schrimpf aufgrund seines plötzlichen Todes 1938 nicht beenden.


1933 gab es bereits schätzungsweise 4 Millionen Radioempfänger. War Schrimpf im Jahr der Entstehung des Gemäldes ein Radiohörer, hat er beim Malen der Antennen überhaupt an die unsichtbaren Boden- und Raumwellen gedacht, die auf magische Weise die Stimmen und Klänge der »Deutschen Stunde in Bayern« besonders gut über die Erdatmosphäre auch in weit entfernte Haushalte trug? Die »Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung mbH« sendete seit 1924. Oder dachte er bereits an die Propaganda, die seit dem Frühjahr 1933 aus dem Sender kam, als Radioempfänger mit dem verschlüsselten Namen VE 301 die Bürgerschaft wenige Monate nach dem 30.1.33 auf Empfang brachte?


SCHÖNE ELEKTRISCHE LANDSCHAFTEN

Bereits in der frühen Phase des Rundfunks galt ästhetischer Landschaftsschutz. »Bei der Aufstellung von Antennenanlagen ist auf das Strassen- und Landschaftsbild gebührende Rücksicht zu nehmen.«7 Auch heute gilt, in der Regel stören Antennen, wenn sie in Landschaften die Sicht »verschandeln«. Dies unterscheidet aber Antennen wie auch moderne Windkraftanlagen von den alten Windmühlen, die als technische Anlagen eine vergangene dörflich geprägte Landschaft und »gesunde« Naturverbindung symbolisieren.


Bei Schrimpf aber sind die Antennen schön. Denn als Maler versuchte er die Brüche seines eigenen Lebens und die seiner Zeit visuell zu heilen. Seine Bilder sind also reparierende Gegenbilder, die ganz anders als der Expressionismus oder der Kubismus auf zerbrochene Lebensläufe und die erfahrenen Einschnitte durch Krieg, Armut und Revolution reagierten. Seine Bilder zeigen keine zersprengte Wirklichkeit in Splittern, sondern konzentrieren sich auf Ganzheit und Dingwelt. Der bereits zitierte Kunsthistoriker Franz Roh meinte, Schrimpf würde nicht ruhen, »bis in der Malerei geradezu mit Akribie die Natur wiederhergestellt ist«. Er prägte den Begriff des »magischen Realismus« für die Malerei nach der Ära des Expressionismus, zu denen er auch Schrimpfs Werke zählte.8 Diese besäßen eine »stoische Regungslosigkeit«, bei ihnen solle »auch das kleinste Detail des Alltags etwas von beinah astronomischen Geleisen stillen, geistigen Lebens haben, in das es gespannt ist [sic.].« Die Landschaft ist menschenlos und still, wie eine in Gips nachmodellierte Miniaturwelt aus einer vergangenen Zeit, erstarrt hinter Glas in einem Diorama.


Für das Antennenbild bedeutet dies, dass auch die technischen Infrastrukturen keine Verletzungen sind, die eine »unberührte Natur« wie in den Boden gerammte Prothesen zerstören, sondern dass auch sie an der Einheit und dem Wohlklang der Natur teilhaben können. Die weichen Farben sowie die durch Buschwerk und Bäume verblendeten Sockelbereiche der Antennen, aber auch die äußerst harmonische Aufteilung von Himmel und Landschaft, in deren Mittelgrund die Türme eingebettet sind, bestärken diesen Eindruck. Gerade weil die meisten Landschaftsgemälde Schrimpfs Welten zeigen, die von der Moderne noch nicht verändert erscheinen, fällt das Antennenbild als Ausnahme hier umso mehr ins Gewicht. Es steht in einer Reihe von Landschaftsgemälden, die keine Idyllisierungen sind, sondern das Miteinander von Zäunen, einfachen neuen Häusern auf dem Land und Landschaften zeigen, insbesondere das Gemälde »Bahnübergang« von 1932 ist hier zu nennen. Das Bild integriert die Antennen harmonisch in die typische Aufteilung eines Landschaftsbild. Das passt auch zu Schrimpfs anderen Bildern, die eine geheilte Welt in Harmonie zeigen und dabei einen »Mystizismus« in einer Welt behaupten, in der dieser Gedanke aufgrund seines Idealismus im Widerspruch zum allgegenwärtigen Materialismus der Moderne steht.9


Die Körper sind schwer, der Raum ist metaphysisch. Vielleicht passen gerade in eine solche Raum- und Formvorstellung Antennen. Doch der »magische Realismus« strahlt hier nicht allein als Wiederverzauberung der Welt bei gleichzeitiger Entromantisierung, sondern auch in Form von Radiowellen, die damals selbst noch als Phänomene einer okkulten Sphäre galten, in der Kontakte zu Medien aller Art möglich waren. Im Falle der Radiolandschaft durchwirken sie unsichtbar nicht nur den Bildraum des Gemäldes, sondern strahlen gleichermaßen in den Raum des Betrachters hinein.

Birgit Schneider
  1. Schrimpf war bei dieser Ausstellung dabei, die die Kunstströmungen nach dem Expressionismus zusammenführen sollte. Inge Herold: Gustav F. Hartlaub und die »Neue Sachlichkeit« in Mannheim, in: Die neue Sachlichkeit. Deutschland – 1920er Jahre – August Sander, hrsg. v. Angela Lampe, Ausstellungskatalog, München 2022, S. 22-26.

  2. Franz Roh: Georg Schrimpf. Seine kunstgeschichtliche Stellung. 1924, Nachdruck in Wolfgang Storch: Georg Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk, Berlin 1985, S. 142.

  3. Zitiert nach einer Email. In Fürstenfeldbruck wiederum erinnert der Straßenname »Senderstraße« eventuell noch an eine solche Station im Ortsteil Maisach.

  4. http://www.wabweb.net/radio/radio/ismaning.htm [eingesehen 20.10.2022]

  5. Oskar Maria Graf, 1923, zitier nach Storch: Georg Schrimpf und Maria Uhden, S. 127.

  6. Franz Roh über Georg Schrimpf. Seine Kunsthistorische Stellung, 1924. Zitiert nach Storch: Georg Schrimpf und Maria Uhden, S. 143.

  7. Ortspolizeiliche Vorschrift über die Ausführung von Hochantennen Marktgemeinderat Fürstenfeldbruck am 2. Februar 1925 für private Funkanlagen https://www.fuerstenfeldbruck.de/ffb/web.nsf/id/li_stadtarchiv_august2014.html [eingesehen am 20.10.22]

  8. Diesen Begriff prägte Frank Roh in seinem Werk Nach-Expressionismus – Magischer Realismus: Probleme der neuesten europäischen Malerei, Leipzig 1925.

  9. Carlo Carra, 1924, zitiert nach Storch: Georg Schrimpf und Maria Uhden, S. 122.