»Das Mädchen reagiert fiktiv auf den Umweltreiz, den wir, die Betrachter, in ihr auslösen. Sie schaut direkt aus dem Bild heraus, an den Schranken vorbei und uns an. Sie überlässt die Wahrnehmung des Rahmens den Händen, welche die untere Leiste ergreifen bzw. dabei sind, sie ganz anzufassen. Dieser Moment ist das Bild.«
Rembrandt und Descartes leben zur selben Zeit in Amsterdam und arbeiten jeweils an demselben Thema: Der eine schreibt über die Vorstellung, dem Menschen könne seine Wahrnehmung durch einen bösen Geist lediglich vorgetäuscht werden, der andere malt eine junge Frau, deren Hand über den Rahmen heraus in die Realität des Betrachters zu greifen scheint, ein Trompe-l’œil, eine Augentäuschung. Während der eine seine Gewissheit in dem Satz »ego cogito, ergo sum« (Ich denke, also bin ich) sucht, lotet der andere die Gattung des Selbst-Portraits bis zu seinem Lebensende immer wieder von Neuem aus. Beide verstehen sich auf das Spiel der Maskerade, darauf, sich zu verkleiden, in Rollen zu schlüpfen und somit sich auf der Bühne der Öffentlichkeit einerseits zu präsentieren sowie andererseits zu verbergen – das Täuschen verschafft ihnen Freiräume. Ausgehend von Rembrandts Gemälde Mädchen im Bilderrahmen entfaltet Wolfgang Kemp in seinem Essay ein historisches Tableau, auf dem beide Akteure sich auf sehr unterschiedliche Weise an Täuschung, Subjektivität und Freiheit abarbeiten. Nicht nur kommt dabei die Frage auf, ob beide durch ihre jeweils unterschiedlichen Tätigkeiten, Werkzeuge und Medien letztlich gegensätzliche Einsichten und Erfahrungen ermöglichen. Kemps historischer Rückblick lässt unwillkürlich auch unseren gegenwärtigen medialen Umgang mit Täuschung und Maskerade in einem veränderten Licht erscheinen.
ISBN: 978-3-98761-002-8
Autor: Wolfgang Kemp
Titel: Die ehrbaren Täuscher, Rembrandt und Descartes im Jahr 1641
Format: 165 mm × 105 mm, 160 Seiten + 8 Bildtafeln
Veröffentlicht: Mai 2023
»(...) dieser elegant geschriebene, genau gearbeitete Essay (...)«
— Helmut Mayer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.01.2024.
»Kemp entfaltet nicht nur seine kunsthistorischen Kenntnisse, sondern auch einen beträchtlichen detektivischen Spürsinn (...).«
— Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung, 02.08.2023.
»Ein hervorragendes Verfahren – die beiden waren mir noch nie so nahe wie in diesem Essay. (...) ein kühner Brückenschlag!«
— Stefan Diebitz, kultur-port, 13.05.2023.